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20

CURA CURIOSITAS


Partiturausschnitt groß

20.1

Die Sorge geht über den Fluß

für Stefan Schädler (1989/90/91)

Das Stück für Violine Solo geht auf die 220. Fabel von Hygin zurück:

"Als einst die Sorge Über einen Fluß ging, sah sie tonhaltiges Erdreich, sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt, was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die Sorge, daß er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährt ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, daß ihm sein Name gegeben werden müsse. Während über den Namen die Sorge und Jupiter miteinander stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, daß dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte

Entscheidung: 'Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei

seinem Tod den Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die Sorge dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, so lange es lebt, die Sorge es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteht, so möge es homo heißen, da es aus humus (Erde) gemacht ist."    

20.2

Ursache und Vorwitz

für Horn, Violine, Violoncello; Klavier, Schlagzeug, Tonband(1993/94)

The piece takes the mechanism of curiosity as a startingpoint.

A cosmic world of sound that is increasingly transformed into vastness by the blanket of our imaginations. Until the cosmos announces itself in its rejected clarity, in a light in which the human expression appears increasingly tiny and forgettable.

Das Stück ist inspiriert durch einen Renaissance Holzschnitt, eines von Neugier getriebenen Mannes, der seinen Kopf durch die Erdhülle steckt, um den Kosmos dahinter zu erblicken. Curiositas als treibende Kraft der Neuzeit, die schließlich angesichts der Absolutheit des Erblickten kümmerlich wirkt. So ist auch das Ende mit dem kosmischen Endlosglissando zu hören. Die Entwürfe der menschlichen Neugier werden immer verzagter, verstummen schließlich.

20.3

Wanda Landowskas verschwundene Instrumente

für Midiharpsichord, Hammerklavier und Computerprojektionen (1998/99, Filmfassung 2001)

De Componist maakte met programmeur Götz Neuman en grafisch vormgever Max von Velsen (Keulen) onder de titel Wanda Landowskas verschwundene Instrumente even sprookjesachtige als confonterende productie over 'Sonderstab Musik',de georganiseerde roofpartijen door de nazis van historische muziekinstrumenten en partituren. Deborah Richards voer in de presentatie live composities uit op forte-piano en keyboard.

Die Instrumentensammlung von Wanda Landowska wurde 1940 vom "Sonderstab Musik" beschlagnahmt und nach Berlin, dann nach Raitenhaslach geschafft. Ein großer Teil der wertvollen Instrumente konnte von den Amerikanern 1946 zurückgebracht werden. Einige Cembali, Pleyel Flügel und ein Großteil der Bibliothek ist nach wie vor verschwunden.

"Wanda Landowskas verschwundene Instrumente" behandelt den Instrumentenraub des Amtes Rosenberg während der deutschen Okkupation Frankreichs im Jahre 1940. Deborah Richards spielt abwechselnd auf einem historischen Hammerklavier und einem Midi-Cembalo. Letzteres löst Bilder via Computer aus, die von einem Beamer auf eine Großleinwand projiziert werden. Der Prozeß, den ich in Zusammenarbeit mit einem Kölner Digital Design Büro entwickelt habe läßt sich kurz so beschreiben: Die neun Töne des Alphabets, die auch Tonhöhen bezeichnen (a,b,c,d,e,f,g,h und es), triggern via Midi-Cembalo neun Bildfelder, die wie ein Schachbrett auf einem Rechteck unterteilt sind. Die Bildinhalte sind einerseits Dokumente des Musikraubs, Sitzungen, Listen, Transporte, Instrumente etc.und andererseits die poetische Welt der Landowska, historische Abbildungen, alte Notendrucke, Fotos von ihr, historische Abbildungen von Frauen an Instrumenten. Krieg (mars) und Poesie (venus) halten sich die Waage. So liegt den musikalischen Strukturen auch das berühmte Lied "Est-ce mars", das Sweelinck zu Variationen verwendet hat zu Grunde. Außerdem werden die in Passacaglien übersetzte Instrumentnamen der Sammlung Landowska zur Grundlage der die Bilder auslösenden Melodien. Jedes Bildfeld blättert, solange der es bestimmende Ton gehalten wird, sein Archiv durch. Dabei hat jedes Bildfeld seine eigene Geschwindigkeit von 2 Bilder pro Sekunde bis 30 Bilder pro Sekunde. Die Bildkombinationen werden von Aufführung zu Aufführung verschieden sein, einer zufallsgesteuerten Moritatentafel vergleichbar. Die schnellen und dichten Bildfolgen werden in den drei Hammerklavierstücken, die mit den Midipassagen alternieren, von ruhigen Bildeinstellungen abgelöst. Die Aufführungen werden noch von einer Originalansage Landowska und einer Stimme (Hanns Zischler), die die Konfiskationslisten liest begleitet.

Willem de Vries, dessen Recherche über den NS-Musikraub der Ausgangspunkt dieser Arbeit war, stellte die Materialien über Landowska und den "Sonderstab Musik" zur Verfügung.      


20.4

Aimide

Amicitias immortales, mortales inimicitias debere esse.“ (Livius)

(Friendship should be imperishable, enmity should be perishable.)

for Piano

By attempting to communicate a thought of Livius idea, AIMIDE aims counterbalance a fatal development in recent political discourse – the idea that the enemy must be demonized. One might consider the enemy, instead, as a reality to be approached with foresight and without distortion. Ennemies have always things in common, and these need to be searched out and seen. These have to be found and seen with clear vision.

Prolog: 

Daimon

I
Cura

Cura means concern. This movement is written as a musical diary between the 12th of September 2001 and the end of the year. It is centered around the protest song „We shall overcome“ but also includes everyday moments of inspiration into its stream of consciousness.

II
Fuga

The third movement is a strict combinatorial processing of one pseudo-tonal melody (of twelve tones) through all 12 inversions retrogrades and retrograde-inversions. It’s static structure is a contrast to the virtuosic flow of the second movement, and it reminds us of two things: 1) we are all products of our cages 2) that there is no flight (Fuga) out of our own consciousness

III
Svara

Finally Svara is a transcription of Brahman chant-particles and a combination of two independent strata of these particles. suggests a fourth world (next to „Prelude“, „Toccata“, „Fugue“) the „Recitative“. Recitation is an ancient type of cultural expression, bridging wide cultural gaps and enhancing friendship.

Epilog:
Synastria

This movement is an ascetic reduction of the musical material to three pitches e – eflat – bflat, distributed throughout the registers of the piano in artistic velocity. The b-flat, sustained by use of the third pedal, is a common reference, like the common star of two dissonantly related pitches (the interval of a minor second between e and e flat). This serves as an analogy that ennemies share common denominators. It also trusts in an ancient thought that a philosophical idea can be expressed through music.



1987/2001/02
for Herbert Henck (I&II) & Thomas Schultz (III&IV)
commissioned by the Stanford University (Smith Piano Fund)


 

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