día perdido (2021/22)

Mein Projekt zum 500. Jahrestag der ersten Weltumsegelung durch Magellan und Elcano war ursprünglich als multimediale Aufführung mit Musik, Projektion, Sprechern und Geräusch-Collagen geplant. Allerdings wurde mir sehr bald klar, dass es schwierig würde, das Thema, welches sich schnell zu einer Beschäftigung mit dem Kolonialismus im Allgemeinen auswuchs neutral darzustellen. Zwar stand der Bericht von Antonio Pigafetta im Zentrum der Auseinandersetzung, doch war mir dieser allein nicht ausreichend, um das Thema zu bearbeiten. Zu wichtig waren hier die Umstände und die Verzerrung der tatsächlichen Situation durch die Sicht der im Dienst Spaniens segelnden Beteiligten. An mir selbst bemerkte ich eine eindeutige Verurteilung des Verhaltens der Spanier und Portugiesen, die sich im Vertrag von Tordesillas die (auszubeutende) Welt einfach in zwei Hälften aufgeteilt hatten. Wer sich mit der Thematik befasst, stößt schnell auf andere zeitgenössische und auch jüngere Quellen, die durchaus kontrovers sind, egal zu welcher Position sie nun neigen. Montaignes Essay „Des Cannibales“ (Von den Menschenfressern) oder der „Kurzgefaßte Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder (Brevísima relación de la destrucción de las Indias occidentales)“ von Bartolomé de Las Casas sind berühmte Beispiele für eine antikolonialistische europäische Haltung, die das verklärte Bild vom „edlen Wilden“ zeichnen. Gleichermaßen sind Berichte wie etwa Hans Stadens „Wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser-Leute“ (mit den drastischen Kupferstichen Theodor de Brys) oder auch Passagen in Pigafettas Bericht ein entsprechender Gegenpol.

Um eine Deutung möglichst zu vermeiden, habe ich mich letztendlich dazu entschlossen, kein abgeschlossenes Stück zu präsentieren, sondern eine Materialsammlung, die den Anteil an Musik für sich zeigt und daneben einen Großteil an Texten und Bildern, die ich für das Projekt gesammelt habe. Die Menge an Material hätte es ohnehin schwierig gemacht, eine wirklich sinnvolle Form für eine Komposition zu finden. Ich hatte auch mit Zufallsverfahren oder bewusst kontrastierenden Anordnungen und Überlappungen von Text, Bild und Ton experimentiert, war damit aber überhaupt nicht zufrieden.

Musikalisch versuchte ich ebenfalls diverse Lösungen. In der Zeit, die ich an dem Projekt gearbeitet habe (ca. 1 1/2 Jahre), wurden immer wieder Ideen verworfen und neue ausprobiert. Ursprünglich wollte ich ein Tonhöhennetz aus der Reiseroute bilden, ich hatte dazu auch schon ein ausgefeiltes Konzept. Dann suchte ich nach Musik aus der Zeit und aus den entsprechenden Regionen, wollte aber nicht in eine Idiomatik abgleiten, die wieder problematische geworden wäre. Letzten Endes entschied ich mich dann, für einen ersten Teil eine Komposition aus (ungefähr) der Zeit der Umsegelung zu nutzen („Triste España sin ventura“ von Juan del Encina gefiel mir am besten); das Stück löst sich quasi auf, je weiter sich die Schiffe von Spanien entfernen. Die Geräusche, die ich gesammelt und zum großen Teil selbst aufgenommen habe (auch mit einem Hydrophon) habe ich zu einer Collage verarbeitet, teilweise elektronisch verfremdet (sie ist eigentlich wie eine Endlosschleife gedacht, die durchaus auch etwas bedrückend wirken soll). Hier war die Idee des langen Daseins auf dem Schiff mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Psyche die Anregung. Die Musik zum stillen Ozean enthält viele Klänge, wie ich sie ursprünglich im Sinn hatte, die Musik ist sehr karg. Am Ende stehen Fragmente aus der Musik vom stillen Ozean und den Variationen über das Stück von Juan del Elcina, so wie von der ursprünglichen Flotte mit 237 Mann Besatzung nur ein einziges Schiff mit lediglich 18 Männern zurück kam. Die Musik selbst löste sich aber in allen vier Fällen im Grunde völlig von den ursprünglichen Verknüpfungen, die Stücke stehen also tatsächlich ganz für sich.

So ist diese Website entstanden, die wie eine Kiste voller Dinge sein soll, in der man kramen kann. Ermöglicht wurde das Ganze durch ein Stipendium der GEMA, für das ich zutiefst dankbar bin. Nach langer Zeit kreativen Stillstands konnte ich endlich wieder etwas verwirklichen.

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